Seit 1. Januar 2024 ist das E-Rezept Realität. Im vierten Anlauf, nachdem die ersten drei jeweils kurz vor knapp abgesagt wurden. Niedergelassene Ärzte müssen seitdem „… für die Übermittlung der Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Dienste und Komponenten nach Absatz 1 …“ nutzen.
Damit ist die Telematikinfrastruktur (TI) gemeint und theoretisch ist das alles ganz einfach. Die elektronische Verordnung wird über die TI versendet und auf einem zentralen Server gespeichert. In der Apotheke wird die Versichertenkarte eingelesen und die Verordnung über die TI abgerufen. Der Patient erhält sein Medikament und der Apotheker kann es abrechnen.
So weit so gut. Dass es in den ersten Tagen zu ein paar Startschwierigkeiten kommen kann, war abzusehen – und wie groß die wirklich sind ist schwer abzuschätzen. Apotheker- und Ärzteverbände jammerten pflichtgemäß über Mehraufwand, der Bundesgesundheitsminister lächelte das genauso pflichtgemäß weg. „Es wird ein paar Wochen dauern, bis sich das zurecht geruckelt hat, aber die ganze Technik steht ja“, sagte er im Morgenmagazin.
Letzte Woche startete für mich persönlich das E-Rezept-Zeitalter – dachte ich zumindest. Ich benötigte eine Folgeverordnung, die ich wie immer per E-Mail in meiner Hausarztpraxis bestellte. „Ist zum Abholen bereit“ bekam ich kurz darauf als Antwort geschickt und machte mich mit meiner Gesundheitskarte auf den Weg in die Praxis. Dort drückte mir die MFA aber wie früher ein Papierrezept in die Hand.
Meine Frage „Wie – kein E-Rezept?“ beantwortete sie lapidar mit: „Können wir noch nicht ausstellen. Dazu muss erst der Techniker noch ein paar Einstellungen ändern – und auf den warten wir jetzt schon 2 Monate.“ Schade, dachte ich und nutze das Einlösen meines vielleicht letzten Papierrezepts zu einem Plausch mit dem Apotheker.
Der muss zwar nicht mehr auf den Techniker warten, ist vom Thema E-Rezept aber trotzdem genervt: „Viele Dinge, die vorher einfach und selbstverständlich waren, sind jetzt unmöglich“, sprudelt es aus ihm heraus. „Ich habe viele Stammkunden und da kommt es schon mal vor, dass die Dauermedikation ausgeht. In solchen Fällen wurde früher das Rezept nachgereicht – das ist jetzt praktisch unmöglich.“
„Und securPharm ist vielleicht gut für die Arzneimittelsicherheit. Aber wenn das System stundenlang nicht erreichbar ist, steppt hier in der Apotheke der Bär“, meint er. „Wenn ich die Kunden wegschicke, sind die sauer. Und wenn ich es ohne abgebe, habe ich ein Retax-Risiko.“ securPharm ist ein System zur Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln beim Großhandel und in der Apotheke.
Das klingt eher nach einem systemischen Problem als nach Anlaufschwierigkeiten. Um das subjektive Bild vom E-Rezept in der Praxis abzurunden, rufe ich noch eine befreundete HNO-Ärztin an und frage sie nach ihren Erfahrungen. „Bei uns fingen die Probleme damit an, dass schon letztes Jahr bei der E-AU unsere elektronischen Heilberufeausweise nicht erkannt wurden. Wir mussten neue Ausweise bestellen und davon funktioniert jetzt zumindest einer.“
Auch von ihrer Praxis aus ist die TI nicht durchgängig erreichbar, was zu Verzögerungen im Ablauf und letztlich zu Frust im ganzen Praxisteam führt. Aber Probleme grundsätzlicher Art: „Da wir nur ein Kartenterminal in der Praxis haben, muss ich wegen jedem Rezept an die Rezeption laufen, um es zu signieren – das ist schrecklich unpraktisch“, nennt sie ein konkretes Beispiel.
Die größte Hürde sieht sie darin, dass die Patienten nicht informiert sind. „Vor allem ältere Patientinnen und Patienten sind eher verwirrt, wenn wir ihnen sagen, sie können das Rezept in der Apotheke einfach mit ihrer Gesundheitskarte einlösen. Das müssen die MFA oft dreimal erklären.“ Und auf die Frage, wie denn die Kollegen und Kolleginnen das sehen, antwortet sie: „In meinem Umfeld gibt es drei Fraktionen. Die erste Gruppe sagt läuft super, die zweite sagt, läuft aber ruckelt noch deutlich und für die dritte ist es schlicht die Vollkatastrophe.
Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit dem, was man in der Fachpresse dazu lesen kann. Was mich jetzt zu der Einschätzung bringt: Das E-Rezept ist gestartet und die Versorgung ist nicht zusammengebrochen. Es ruckelt aber nicht nur ein bisschen, ab und an bleibt die Kiste auch einfach stehen. Für komfortables Weiterreisen in Richtung Digitales Gesundheitswesen braucht es jetzt eher eine große Inspektion als einen schnellen Ölwechsel.
Autor: Reinhard Merz
(Bildquelle: Bild generiert von Midjourney und bearbeitet von arztCME)