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MedicalLearning – Blog zur Zukunft der medizinischen Information

Experimentelle Theologie

01. Februar 2021

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie“ schrieb schon unser Dichterfürst von Goethe. „Und grün des Lebens goldner Baum“, so geht es weiter. Der Gegensatz von grau auf der einen und grün-gold auf der anderen Seite soll auf die Lebensferne der Theorie hinweisen – so werden die Worte in der Philosophie gerne interpretiert. Was im Umkehrschluss heißt: In der Praxis liegt die Erkenntnis.

Das haben wir uns zu Herzen genommen und ausprobiert, was die elektronische Patientenakte (ePA) schon alles kann. Als freiwilliges Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse habe ich deshalb letzte Woche den App Store nach einer passenden App durchforstet, bin fündig geworden und habe gleich die „DAK ePA“-App auf meinem Smartphone installiert. Das Experiment kann beginnen.

„Willkommen bei Ihrer ePA“ steht auf dem Bildschirm und nach dem Klick auf „Elektronische Patientenakte“ kommt das Anmeldeformular, wo ich Versichertennummer und Passwort eingeben kann. Den rudimentären Online-Service meiner Kasse nutze ich schon länger, so habe ich beides greifbar und melde mich an. Danach erscheint meine Versichertennummer auf einer neuen Seite, darunter der Button „Sichere Anmeldung durchführen“. Für einen Moment bin ich begeistert.

Das ändert sich nach dem Drücken des Button, denn nichts passiert mehr. Aufgehängt. Ich probiere das ganze Prozedere noch einmal – leider mit dem gleichen Ergebnis. Schließlich nutze ich die Service-Hotline und habe schon nach wenigen Minuten einen freundlichen jungen Mann an der Strippe. Der hört sich mein Problem an und verspricht, sich darum zu kümmern.

Und tatsächlich bekomme ich 2 Stunden später eine Mail. Doch auch hier hält die Begeisterung nicht lange an. „ … vielen Dank für Ihr Interesse an der elektronische Patientenakte (ePA). Wir bieten Ihnen diese ab dem 1. 1. 2021 an. Die Nutzung der ePA ist freiwillig.“ Es folgt jede Menge generische Info zur ePA, dabei wollte ich nur wissen, warum sich meine App aufhängt. Doch dazu kein Wort.

Also schreibe ich eine neue Mail und schildere noch einmal mein Problem. Am nächsten Tag meldet sich der technische Support per eMail: „ … die elektronische Patientenakte kann nicht über den DAK-Account gestartet werden. Wir haben einen Click-Dummy im Internet eingestellt, mit dem man alle Anmeldeschritte durchspielen kann … Ansonsten bitte die unten aufgeführte Telefonnummer nutzen, falls noch Fragen bestehen.“

Da ich dem Click-Dummy nichts entnehmen kann, wähle ich die „unten aufgeführte Telefonnummer“. Jetzt ist es eine freundliche Mitarbeiterin, die mich in die Geheimnisse der ePA-Registrierung einführt: Damit ich einen ePA-Account bekomme, muss ich persönlich in einer Servicestelle vorstellig werden und meine Versichertenkarte und meinen Personalausweis mitbringen.

„Können Sie einen Termin für mich vereinbaren?“ frage ich. „Da gibt es ein Problem“ sagt die Frau. „Unsere Servicestellen sind wegen des Lockdown geschlossen“. Sie versprach aber ebenfalls, sich um eine Lösung zu kümmern. Keine Stunde später bekomme ich einen Anruf aus dem Servicecenter vor Ort. Zwar ist eigentlich geschlossen, aber mit Termin wird man mich reinlassen – drei mal klingeln, dann öffnet wer.

10 Uhr am nächsten Tag. Mit Versichertenkarte, Personalausweis und Smartphone betrete ich die Geschäftsstelle. Die „Stallwache“ begrüßt mich, ansonsten gespenstische Leere. Nachdem meine Karten für die Unterlagen kopiert wurden, gehen wir zusammen durch den Anmeldeprozess. Der freundliche Herr erklärt mir, dass am Schluss des Prozesses bei ihm eine Mail aufschlägt – sobald die Richtigkeit der Angaben von ihm bestätigt wird, wird auch die Patientenakte freigeschaltet.

Doch soweit kommt es nicht. Der Versuch, ein Benutzerkonto anzulegen, führt zu einer neuen Fehlermeldung: „Es ist ein fachlicher Fehler mit dem Fehlercode 110 oder 115 aufgetreten.“ Dazu der Hinweis, Kontakt mit der Kasse aufzunehmen. Mein Ansprechpartner versucht sein Glück bei der hausinternen Hotline, kommt aber nicht durch. „Ich melde das per eMail, Sie hören von uns“ sagt er und ich gehe wieder nach Hause.

Diesmal dauert es keine 30 Minuten, bis ich einen Anruf aus dem Servicecenter bekomme. „Wir müssen zunächst einmal ihre Versichertenkarte überprüfen“ sagt die Dame, „bitte nennen Sie mir die letzten vier Ziffern der Kennnummer auf der Rückseite.“ Ich tue wie geheißen und weiß dann schnell, woran es liegt: „Ihre Karte ist zu alt – damit können Sie keinen ePA-Zugang bekommen. Wir müssen erst einmal eine neue Karte für Sie anleiern. Und ich sehe in den Unterlagen, dass Ihr Bild schon zehn Jahre alt ist. Bitte schicken Sie ein neues.“

Das habe ich in der Zwischenzeit getan und warte jetzt erst einmal auf meine neue Karte. Meine letzte Gesprächspartnerin hat mich aber gleich auf den nächsten Fallstrick aufmerksam gemacht: „Fragen Sie unbedingt in Ihrer Hausarztpraxis nach, ob die schon in der Lage sind, die ePA zu befüllen. Denn wenn die Akte nach dem Anlegen nicht innerhalb vom 100 Tagen befüllt wird, wird der Vorgang geschlossen und Sie müssen wieder von vorn anfangen.“

Keine gute Aussicht. Ich habe meiner Hausarztpraxis geschrieben und hatte schnell eine Antwort: „Sie haben recht, seit dem 1. 1. 21 sind die Krankenkassen verpflichtet den Versicherten eine elektronische Patientenakte in mehreren Ausbaustufen zur Verfügung zu stellen. Soweit sind wir aber noch nicht, das wird sich evtl. in näherer Zukunft … ergeben.“

Nach diesen Praxiserfahrungen scheint mir die Theorie viel weniger grau … fast sieht es aus, als seien hier höhere Mächte am Werk. Wieso fällt mir gerade jetzt ein alter Witz ein? „Was ist der Unterschied zwischen einem Philosophen und einem Theologen?“ Hätten Sie es gewusst? „Der Philosoph sucht im dunklen Keller nach einer schwarzen Katze – der Theologe ruft dazu noch: Ich hab sie!“ Die ePA lässt grüßen.

 

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